Konferenz zur Kreislaufwirtschaft Textil in Berlin, Juni 23

UPDATE:

Konferenz zur Kreislaufwirtschaft Textil in Berlin, Juni 23

‘Stitching together a Social and Circular Future for Textiles’

 ausgerichtet von:        RReuse, unserem europäischen Dachverband, und

FAIRwertung, bundesweiter Zusammenschluß gemeinnütziger Organisationen, die Textilien sammeln.

– Tagungsbericht von Sabine Rolf und Claudio Vendramin-

Matthias Neitsch von RepaNet Austria und Vorstand von rreuse Brüssel eröffnete die Veranstaltung mit einer griffigen Metapher, und zwar der vom Flipperautomaten: Ziel ist die Kugel immer wieder und wieder ins Spiel zu bringen. Das Spiel ist Re-Use, wird die Kugel versenkt, ist das Recycling und es muss bezahlt werden für die nächste Runde. Secondhand Kaufhäuser aus der Sozialwirtschafthalten den Ball im Spiel der Kreislaufwirtschaft.

Die RReuse Tagung in Berlin wurde organisiert, um Experten, Sozialunternehmer, politische Entscheidungsträger und führende Vertreter sozialer Unternehmen zusammenzubringen, den aktuellen Stand des Textilmarktes zu erörtern und innovative Wege zur Steigerung der Wiederverwendung und zur Reduzierung von Textilabfällen zu erkunden.

Längst agiert die Bekleidungsindustrie global über alle Kontinente hinweg. Die Kleidungsstücke werden von den Rohstoff produzierenden Ländern zu den Produktionsstätten, die oft auf einem anderen Kontinent stehen, hin und her transportiert.

Die Bekleidungsindustrie ist ein komplexes System mit Prozessen und Dienstleistungen, die eine lange Wertschöpfungskette bilden:

Im Zentrum der Entwurfsphase steht das Design. Es wird entschieden, welche Stoffe verwendet werden, die Größen und Verzierungen werden ausgewählt. In der Produktionsphase geht es um die Erzeugung des Rohstoffes in drei Kategorien: Chemiefasern, einschließlich Polyester aus fossilen Brennstoffen, pflanzliche Fasern wie Baumwolle und tierische Fasern wie Wolle. Zur Einkaufsphase gehören Vertrieb, Merchandising und Marketing für die Kleidung – bis das Kleidungsstück schließlich von EndverbraucherInnen – im Onlineshop oder über den Einzelhandel – gekauft wird.

Wiederverwendung bedeutet, die Textilien im Kreislauf zu halten

Bislang enden nur 60% der weltweit produzierten Textilien in der Wiederverwendung.

Die komplexe textile Wertschöpfungskette macht es schwierig, jeden Schritt transparent nachverfolgen zu können. Doch ein Kleidungsstück kann nur dann nachhaltig produziert werden, wenn der Einfluss entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Anfang an mitbedacht wird und alle AkteurInnen einen Teil dazu beitragen.

Zahlen:

Dennoch ist es höchste Zeit zu handeln: 10 % der globalen Emissionen fallen in der Textilproduktion an, in 2022 flossen etwa 500.000 T Öl in die Produktion von Kunstfasern und es wurden ca. 20 Billionen Stück in die EU importiert. Der pro Kopf-Verbrauch von Textilien liegt in Europa bei 15 kg/ Jahr. Unser individueller CO2 Fußabdruck beträgt fast 300 kg/ Jahr. Aus den privaten Haushalten fallen jedes Jahr Europas 5,8 Millionen Tonnen Textil als Abfall an ( = ca. 11kg/ Kopf). Deutschland liegt mit der Einsammelquote von 70% für Altkleider deutlich über dem globalen und europäischen Durchschnitt.

Ab 2025 sollen sich überall in der EU die Zahlen erhöhen durch die Einführung einer grundsätzlichen Pflicht zur Getrennt-Sammlung

aus: Reinkenhoff, Ahlmann, „SecondHand – Second Thoughts?“ FAIRwertung, Essen 2023

Da die Mengen an Alttextilien, die nicht mehr markt- und tragfähig sind, zunehmen werden und eine besondere wirtschaftliche Herausforderung darstellen, müssen Strategien entwickelt werden, die diese Problematik angehen.

EPR (Extended Producer Responsibility, erweiterte Produzentenverantwortung )

Erweiterte Herstellerverantwortung bedeutet, dass Organisationsstrukturen geschaffen werden, die die Hersteller in die Pflicht nehmen, recyclingfähige Materialien und Waren zu produzieren, recycelte Fasern einzusetzen und die Entwicklung von Zukunftstechnologien zur Aufbereitung und Verwertung der Fasern aus Alttextilien zu fördern.

Es stellt sich die zentrale Frage, wer die Verantwortung für die Textilien trägt, die nach Gebrauch Abfall werden. Die EU-Gesetzgeber sehen diese Verantwortung bei den Herstellern, weshalb diese zu einer erweiterten Herstellerverantwortung verpflichtet werden sollen.

Hersteller und Händler von Textilien müssen sich auf eine Registrierungspflicht, wie sie bereits aus anderen Bereichen (Verpackung, Elektrogeräte, Batterien) bekannt ist einstellen. Zukünftig darf nur derjenigen Textilien in Verkehr bringen, der seine Produkte lizenziert hat und die Verantwortung für den kompletten Lebenszyklus des Produkts übernimmt.

Es wird erwartet, dass durch die erweiterte Herstellerverantwortung der Trend weg von „Fast Fashion“ hin zu wertigeren Produkten mit längerer Lebensdauer geht.

Generell wurde klar, dass sich durch die Fast Fashion-Entwicklung Qualität und Einnahmen im Re-Use verringern.

Z.Zt. schaffen Sozialunternehmen 30 – 45 Arbeitsstellen per 1000 kg gesammelter Textilware.

Für sie bedeutet es eine existentielle Bedrohung, wenn sie heute in immer stärkerem Maße mit nicht-recyclebaren Textilien konfrontiert sind.

Gemäß der EU-Textilstrategie haben jedoch gemeinnützige Organisationen, die sich mit der Wiederverwendung beschäftigen, das Potenzial, lokale, umweltfreundliche und integrative Unternehmen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Export gebrauchter Textilwaren entspricht zum einen dem aktuellen Bedarf, führt zu anderen jedoch in den Exportländern zu erheblicher Umweltverschmutzung,

Ein EU-Abgeordneter der GRÜNEN berichtete vom wachsenden Gewahrsein der Gesetzgeber in der Revision der europäischen Abfallrahmenrichtlinie und dem Vorhaben, dass die EPR (die mit den Textilien reist) also auch beim Export, bestehen bleibt. Ein digitaler Produkt-Passport oder QR Code mit den notwendigen Daten soll dies ermöglichen. Weiterhin soll eine verpflichtende getrennte Einsammlung gesetzlich vorgeschrieben werden, sowie die Einbeziehung der Akteure auf dem Secondhand-Markt, also auch der Sozialunternehmen..

Mehrere Referenten zeigten innovative Ansätze zur tieferen Sortierung und Datenerfassung, der Kooperation zur Wiederverwendung mit lokalen Wirtschaftsunternehmen, beispielsweise in der Touristikbranche, sowie der lokalen Zusammenarbeit von Kommunen und Re-Use Unternehmen bei der Sammlung.

Es braucht die Entwicklung eines offenen Datenstandards für den digitalen Informationszugang (ID‘S) entlang der textilen Wertschöpfungskette (einschließlich Harmonisierung von Vokabular und Formaten). Beispiele für Kreislaufrichtlinien für die Produktteams in den Bereichen Sportbekleidung, Berufsbekleidung und Mode wurden aufgezeigt. Des wurde gezeigt, wie Start-Ups Input liefern für Politik, Normung und Zertifizierung, um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu erleichtern.

Ziel einiger Projekte ist auch die Verbesserung des Verständnisses der Textilakteure und Vermittlung von Einblicken in den Wert von Kreislauftextilien.

Um die Motivationen und Möglichkeiten der Verbraucher zu verstehen, werden in Antwerpen, Belgien, in Zusammenarbeit mit den Geschäften der Partner Verhaltensstudien durchgeführt. Diese werden dazu beitragen, verschiedene Geschäftsmodelle mit Schwerpunkt auf Wiederverwendung und Reparatur sowie Leitlinien für lokale Anwendungen der Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Es sollen Prozesse definiert werden für die Nachhaltigkeitsbewertung, verschiedene Arten von Lebenszyklusbewertungen durchgeführt werden: dabei soll die Verbindung zwischen den damit befassten EU-Projekten gewährleistet sein für Interaktion und Wissensaustausch

Ergebnisse der Tagung:

  • Soziale Unternehmen im Re-Use sehen sich durch die schwindende Qualität und Einnahmen bedroht. Dennoch sind sie wichtige Akteure für die Wiederverwendung für die Maximierung der lokalen Wiederverwendung von Textilien.
  • Es gab Beispiele der Einbeziehung von Sozialunternehmen in die Politik der Textilabfallbewirtschaftung. Antwerpen hat z. B. auf frei zugänglichen Flächen alle Container abgeschafft und sie an Behörden, Schulen und anderen bewachten Standorten wieder aufgebaut = Ende des wilden Mülls in der Stadt…
  • Beim Thema Innovation im Alttextilmanagement wurden neue Wege zum Sammeln und Sortieren von Textilien vorgestellt, neue Wiederverwendungspraktiken, und Beispiele für die notwendige Digitalisierung des Wiederverwendungssektors .
  • Für eine zu entwickelnde volle Kreislaufstrategie Textil in Europa braucht es vor Allem Daten! Die haben wir, da wir oft als erste Zugriff auf die wiederzuverwendenden Textilien haben.
  • Wir brauchen lokale Re-Use Ziele, ethische Export Richtlinien.
  • Die Gesetzgebung arbeitet an der EPR und an der klaren Zuweisung einer massgeblichen Beteiligung von Sozialunternehmen

Zum Schluß nochmal die Logik des Präsidenten von RReuse, Mathias Neitzsch (ReUse Austria):

  • Die Überproduktion, etwa der Fast Fashion Industrie, ist nur ein Symptom,
  • die Krankheit ist unser übermäßiger Konsum.
  • Die Vision zur ‚Heilung‘ der Krankheit ist die Kreislaufwirtschaft.
  • Und die Leistungen der Sozialunternehmen in der Re-Use Branche sind ein wichtiges Werkzeug, um die Kreislaufwirtschaft umzusetzen.