Valentin Janda 24.09.2025

Sie finden sich im Hof, im Fahrradständer oder in der Garage und stehen uns auf platten Reifen im Weg. Doch Fahrräder, die bei uns nicht mehr gebraucht werden, ermöglichen anderenorts Teilhabe, etwa Schulbildung, Arbeit, medizinische Versorgung sowie eine Erleichterung des Alltags u.v.m. Das Sozialunternehmen Velafrica bringt mit gebrauchten Fahrrädern und Ersatzteilen aus der Schweiz und Deutschland Menschen vorwärts – hier in Deutschland und in West- und Ostafrika. Gleichzeitig bleiben durch das funktionale Recycling wertvolle Ressourcen in Benutzung.

Am 16. September sind in Bern 31 Leitungspersonen aus integrativen Fahrradwerkstätten von Trägern der freien Wohlfahrtspflege, Arbeitsmarktdienstleistern und aus dem Justizvollzug zusammengekommen. Darunter zum ersten Mal auch Leitungspersonal aus Aachen und Frankfurt in Deutschland. Sie alle arbeiten mit Menschen in schwierigen Lebenslagen in eigenen Fahrradwerkstätten. Unter dem Stichwort ‚Netzwerktreffen‘ kommen einmal jährlich Leitungspersonen aus den 39 Partnerwerkstätten von Velafrica zusammen. Alle stellen gebrauchte Fahrräder für das Programm von Velafrica bereit. Aber wie genau funktioniert diese Kooperation, welche Vorteile bringt sie beiden Seiten und was macht die sog. ‚Velafrica Wirkungskette‘ aus?

Dreh- und Angelpunkt dieses Recyclingnetzwerks sind Fahrräder und deren Bestandteile. Durch Ordnungsdienste von Städten und Gemeinden, private Spender: innen oder durch Aktionen mit Firmen und Privatleuten gelangen jährlich über 40.000 Fahrräder in die 39 Werkstätten dieses Netzwerkes. Die Fahrräder sind dabei in sehr unterschiedlichem Zustand: fast neue Mountainbikes, E-Bikes, größtenteils Tourenräder bis zum rostigen Wrack vom Bahnhofsvorplatz sind alle Arten von Fahrrad darunter.

Werkbetriebe von Arbeitsmarktdienstleistern, Werkstätten von Trägern der freien Wohlfahrtspflege und teils Betriebe von Justizvollzugsanstalten arbeiten häufig mit ihren Teilnehmer:innen im Bereich Fahrrad. Die Arbeitshinhalte rund ums Rad sind flexibel, von der Strukturierung des Tages bin hin zur Qualifikation bei komplexen Reparaturen bietet das Rad viele Möglichkeiten und die meisten Menschen können sich mit diesem einfachen und preiswerten Verkehrsmittel aus der eigenen Biografie heraus identifizieren. Für die Betriebe, so der Konsens auf dem Partnertreffen in Bern, bringt eine Kooperation mit Velafrica einen spezifischen Mehrwert mit, die Arbeit wird sinnvoller: Die Fahrräder, die gewonnenen Ersatzteile und die Arbeitstätigkeiten drum herum sind beliebt, denn Velafrica bringt eine lebendige Nachfrage mit und allen ist klar, die Fahrräder werden dringend gebraucht. Davon profitiert die Arbeit mit den Teilnehmer:innen, Motivation und Selbstwirksamkeit wachsen. Die Menschen in den Werkstätten werden Teil der Velafrica-Story und identifizieren sich damit. Ein Partner aus dem Netzwerk von Velafrica in Deutschland betonte, dass insbesondere die Verladung eines Seecontainers vor Ort bei den Werkstätten für einige seiner Teilnehmer:innen ein Jahreshighlight sei. So werden aus gut 40.000 nicht mehr gebrauchten Fahrrädern 27.000 Exporträder jährlich und ein ganzes Sortiment an nicht minder nachgefragten Ersatzteilen.

Vor Ort, in aktuell acht Ländern West- und Ostafrikas, etabliert Velafrica sog. Velohubs. Hier werden Fahrräder a) von lokalen Betrieben preiswert verkauft um Mobilität und Teilhabe zu schaffen, b) es findet Berufsausbildung statt im Zweiradhandwerk, c) lokale Entwicklungsprojekte wie Bike to School werden durchgeführt. Hier erhalten Schulkinder passende Fahrräder und eine regelmäßige Wartung, um ihre enorm langen Schulwege sicher und regelmäßig bewältigen zu können. Bikepreneur und Bikes for Changemakers sind weitere lokale Projekte von Velafrica.

Mit Fahrrad als Herzstück verbindet Velafrica die Werkstätten in Deutschland und der Schweiz mit dem hohen Mobilitätsbedarf in acht afrikanischen Ländern. Während des Treffens gab es Raum für Gespräche, in denen das Leitungspersonal konkret über die Wirkungen der Kooperation berichtet haben.

So schilderte ein Werkstattleiter eindrücklich, wie Klienten mit Suchthintergrund sich aufgrund der hohen Identifikation mit den Arbeitsinhalten regelmäßig in der Werkstatt einfinden und sich langsam eine Tagesstruktur erarbeiten.

Anderenorts ist ein großer stätischer Recyclingbetrieb mit der Entsorgung von Fahrrädern beauftrag. Mit Velafrica existiert ein guter Abnehmer für die zahlreich vorhandenen Fahrräder; so wird hier Recycling mit einer echten Nachfrage verbunden.

Ein Partnerbetrieb aus dem Schweizer Verbund bietet Service und Reparaturen für private Kundschaft an, da das Geschäft saisonal sehr kräftig variiert qualifiziert er seine Teilnehmer: innen in der Nebensaison mit der Arbeit für die Velafrica Wirkungskette.

In den Werkbetrieben der Justizvollzugsanstalten in Deutschland sind starke Lohnkostensteigerungen zu erwarten und teils schon erfolgt, ursächlich ist sind Klagen um den Mindestlohn. Teils haben Auftraggeber aus der Wirtschaft gekündigt. In dieser Situation setzt die JVA aus dem Netzwerk zunehmend auf Qualifizierung im Bereich Fahrrad gemeinsam mit Velafrica. Gefangene in Aachen können sich über einzelne Module Stück für Stück für die Zeit nach der Haft weiterqualifizieren. Das Interesse der Gefangenen daran ist groß.

Für die nach Bern angereisten Partner aus dem Netzwerk von Velafrica stand mit dem Vortrag von Ayana Kimaro aus Arusha, Tansania noch ein interessanter Punkt auf dem Programm. Frau Kimaro leitet die in Arusha ansässige NGO ABC Impact, die mit Velafrica lokal ein Bike to School Programm durchführt. Aus erster Hand wurde anschaulich, warum ein Fahrrad bei Schulwegen von 10km Länge oder mehr für den Erfolg von Schulbildung nicht selten den Ausschlag gibt. Sinnvolle Arbeit in Deutschland und der Schweiz, Zugang zu Bildung und anderen Ressourcen in afrikanischen Ländern, mit den Schilderungen von Frau Kimaro wurde die afrikanische Perspektive auf die Wirkungskette für das Leitungspersonal besonders greifbar.

Valentin Janda von Velafrica e.V. mit Sitz in Osnabrück, Niedersachen etabliert das soziale Recyclingmodell in Deutschland weiter. Im Augenblick kooperieren vier Werkstätten in Deutschland, in 2024 wurden fünf Seecontainer mit Fahrrädern und Ersatzteilen von Deutschland aus exportiert, für 2025 sind sieben Container geplant. Aktuell sucht Velafrica weitere Kooperationen, Velafrica verfügt über detaillierte digitale Arbeitsdokumentationen und schult Partnerwerkstätten. Auch größere Mengen unbearbeiteter Fahrräder oder Hinweise und Austausch zum Aufbau in Deutschland sind erwünscht.

Bilder: ©Vincent Eringfeld, ©Théodore-Perriard, ©Calvin-Exaud